Teilhabe - Partizipation und Beteiligung
In diesem Artikel wird die Teilhabe mit den Partizipationsstufen und der Beteiligungspyramide in Beziehung gesetzt. Damit wird ersichtlich, dass Teilhabe eine hohe Entscheidungskompetenz und ein intensives Engagement erfordert.
Stufen der Partizipation
Partizipation beinhaltet verschiedene Grade. Im Folgenden werden die Partizipationsstufen nach dem Modell von Peter Stade umschrieben. In "Integrale Projektmethodik", Alex Willener, Annina Friz (Hrsg.), interact Verlag, Luzern, 2019, S. 56-59.
Beteiligungspyramide
Die Beteiligungs- oder Engagementpyramide zeigt vertikal die Intensität des Engagements auf und stellt horizontal die Anzahl der beteiligten Personen dar. Kombiniert man diese beiden Dimensionen, erhält man das Verhältnis von vielen leicht engagierten Personen (unten) und der kleinen Anzahl von stark engagierten Personen (oben). Quelle: "The Six Levels of the Engagement Pyramid"
Stufe um Stufe
Niemand kann direkt in die Ebenen der höchsten Partizipationsstufen bzw. in die Spitze der Beteiligungspyramide einsteigen. Für jedes Vorhaben ist es wichtig, von unten her aufbauend zu wirken. Zu jedem Zeitpunkt müssen die grundlegenden Ebenen bearbeitet und mit gebührender Aufmerksamkeit weiterentwickelt werden, damit das Engagement junger Menschen auf solidem Boden steht.
Daher startet das Projekt Teilhabe junger Menschen in der Kirchen (TjM) immer aufgrund der Situation vor Ort. An einigen Orten sind bereits junge Menschen kirchlich engagiert und haben Erfahrungen betreffend Partizipation und Beteiligung. An anderen Orten müssen zuerst Kontakte (re-)aktiviert werden.
Verschiedene Intensitäten der Beteiligung
Das Projekt TjM möchte die Beteiligungspyramide für junge Menschen aufbauen und fördert dazu die Realisierung der dazugehörigen Partizipationsstufen. Dabei ist zentral, dass intensivere Beteiligungsformen nur durch bzw. mit höheren Partizipationsgraden erreicht werden können. Höhere Partizipationsstufen fordern von den jungen Menschen eine höhere Verbindlichkeit und ein intensiveres Engagement. Daher ist es nachvollziehbar, dass sich die echte Teilhabe nur für einen kleineren Teil der jungen Menschen realisieren kann. Viele wollen (oder können) ausschliesslich in weniger intensiven Beteiligungsformen partizipieren.
Voraussetzung für die Beteiligung ist die Relevanz aus Sicht der jungen Menschen und damit einhergehend die Lebensnähe. Inhaltliche Relevanz sowie sprachliche und ästhetische Attraktivität sind am treffendsten, wenn diese durch junge Menschen selbst ausgestaltet werden. Dabei nehmen Leader:innen und Teilhaber:innen die Schlüsselrolle ein. Durch sie gilt es die weiteren Bereiche der Beteiligungspyramide zu erschliessen und auszugestalten.
Stufe: Information
Beschreibung
Information bildet die Voraussetzung für sämtliche Formen der Beteiligung und ist wichtiger Bestandteil der verschiedenen Phasen eines Vorhabens. Die Informationen müssen adressatengerecht aufgearbeitet sein und über Kommunikationskanäle verteilt werden, welche die jungen Menschen nutzen. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass die Informationen gepusht werden, d. h. aktiv zu den jungen Menschen befördert werden. Dies kann auf digitalem Weg erreicht werden oder durch Aktionen und Aktivitäten, welche informieren bzw. Einblicke vermitteln.
Mögliche Verfahrensziele
Zu einem Thema sensibilisieren oder Verständnis zu wecken. Einladung zur Teilnahme, Werbung für Veranstaltung oder Bekanntmachen der Angebote / Möglichkeiten sowie der zuständigen Fachperson. Beteiligte über Verlauf eines Vorhabens informieren und damit Aufmerksamkeit aufrechterhalten.
Entscheidungskompetenz
Keine Entscheidungskompetenz oder Einflussmöglichkeit in dieser Partizipationsstufe bei jungen Menschen.
Beispiel aus der Jugendarbeit zur Partizipationsstufe
Die Fachperson informiert über eine bevorstehende Veranstaltung für junge Menschen. Dazu werden Flyer erarbeitet, die an Transferpunkten junger Menschen verteilt werden. Zudem wird auf den betriebenen Sozialen Medienkanälen auf die Veranstaltung mit Bildern und Texten sowie einem kurzen Video aufmerksam gemacht.
Beteiligungspyramide Beobachter:in
Junge Menschen nehmen die Informationen der Fachperson bzw. Stelle sporadisch wahr, was deren Bekanntheit bei ihnen steigert. Ihr Interesse an den Themen, Angeboten und Möglichkeiten ist in einem Umfang vorhanden, der die Existenz der Fachperson bzw. Stelle im Bewusstsein aktiv hält. Die Kommunikation mit den jungen Menschen läuft nur indirekt, da diese nicht bereit sind, ihre Kontaktinformationen zu hinterlegen. Damit ist direkte Kommunikation von der Initiative der jungen Menschen abhängig. Beobachter:innen verfügen meist über keine eigenen Erfahrungen aufgrund von Teilnahme. Sie besitzen auch keine ausgereifte Absicht, bei der nächsten Gelegenheit eine Teilnahme einzugehen.
Stufe: Konsultation
Beschreibung
Ein Vorhaben wurde schon von einer Fachperson oder einer Arbeitsgruppe ausgearbeitet. Darin sind konkrete Vorstellungen und Pläne dargelegt. Junge Menschen werden zur Präsentation des Vorhabens eingeladen und ihre Meinung dazu eingeholt. Die Fachperson bzw. Arbeitsgruppe nimmt die Rückmeldungen der jungen Menschen für die Finalisierung der Konzeption des Vorhabens entgegen. Gegebenenfalls werden die jungen Menschen zur Präsentation des Ergebnisses erneut eingeladen.
Mögliche Verfahrensziele
Vergewisserung durch Rückmeldungen und Informationen der potenziellen Teilnehmer:innen erlangen. Akzeptanz und Interesse für Teilnahme gewinnen. Informieren und einbeziehen der Adressaten bei Konzeptentwicklungen und ähnlichem.
Entscheidungskompetenz
Sämtliche Entscheide liegen bei den Verantwortlichen. Die jungen Menschen äussern ausschliesslich ihre Meinung, geben Rückmeldungen oder bringen ergänzende Ideen ein. Über deren Einbezug entscheiden ebenfalls die Verantwortlichen.
Beispiel aus der Jugendarbeit zur Partizipationsstufe
Die Fachperson hat aufgrund von Beobachtungen, Erfahrungen und Hinweisen durch junge Menschen eine Projektidee entwickelt. Junge Menschen werden zur Präsentation der Projektskizze eingeladen und um Rückmeldungen sowie ergänzende Ideen gebeten. Nachdem die Fachperson das Projekt ausgearbeitet hat, lädt sie die jungen Menschen zum Kick-off ein, bei dem das Projekt präsentiert und zur Teilnahme eingeladen wird.
Beteiligungspyramide Follower:in
Die Beziehung und die Kommunikation zu den jungen Menschen schafft eine Aufmerksamkeit gegenüber den Vorhaben der Fachperson bzw. Stelle. Die jungen Menschen haben daher Kenntnis über Einladungen, Veranstaltungen usw. Sie sind bereit, ihre Meinungen, Ideen usw. einzubringen, worauf noch keine Teilnahme am Vorhaben selbst folgen muss. Sie verstehen sich als Teilnehmende und beteiligen sich in Vorhaben ausschliesslich in der Durchführung, ohne dabei Aufgaben zu übernehmen, die eine Vorbereitung erfordern. Sie entscheiden tendenziell spontan über ihre Teilnahme und sind nicht bereit, verbindliche Zusagen zu machen oder regelmässige Verpflichtungen einzugehen.
Stufe: Mitwirkung
Beschreibung
Junge Menschen werden für Vorhaben betreffend erwünschten Inhalten oder anderen Bedürfnissen befragt. Die Ergebnisse fliessen verbindlich in die inhaltliche Planung mit ein, die Entscheidung liegt aber bei den Verantwortlichen. Bei der Umsetzung wird auf die Mitwirkung der jungen Menschen gezählt, wobei die Intensität und der Umfang der Mitwirkung eine grosse Bandbreite aufweisen. Die Mitwirkung kann bezüglich Befragung zur Planung und Mithilfe bei der Umsetzung einmalig sein oder während eines Projekts mehrfach wiederholt werden. Dabei kann diese Form des Engagements dazu dienen, dieselben jungen Menschen mehrfach punktuell einzubeziehen oder verschiedene junge Menschen an einem Vorhaben in abgegrenzter Mitwirkung zu involvieren.
Mögliche Verfahrensziel
Anregungen und Ideen von jungen Menschen abholen und einbeziehen. Bedürfnisklärung und Einbezug der Adressat:innen in Planung und Umsetzung.
Entscheidungskompetenz
Entscheide bezüglich dem Vorhaben und dem Einbezug der Meinungen, Ideen oder Bedürfnisse der jungen Menschen liegen bei den Verantwortlichen. Diese sollten sich aber dazu verpflichten, die von den jungen Menschen erhaltenen Ergebnisse ernst zu nehmen und in das Vorhaben einfliessen zu lassen.
Beispiel aus der Jugendarbeit zur Partizipationsstufe
Der Gottesdienst speziell für junge Menschen wird durch Befragung der jungen Menschen geplant. Die Vorschläge der jungen Menschen bezüglich Thema, Musik sowie Ideen zu weiteren Elementen des Gottesdienstes werden in die Ablaufplanung aufgenommen. Junge Menschen wirken in einzelnen Elementen des Gottesdienstes mit. Z. B. bei der musikalischen Gestaltung, dem Vortragen der Lesungen oder der Erstellung von Fürbitten.
Beteiligungspyramide Befürworter:in
Es gilt bei den jungen Menschen genügend Vertrauen zu gewinnen, damit diese ihre Sichtweisen und Ideen einbringen und sich zur partiellen Mitwirkung bereit erklären. Die jungen Menschen betrachten das Vorhaben als bedeutsam und bringen ihrerseits ein Vertrauen entgegen, dass ihre Aussagen aufgenommen bzw. als relevant einbezogen werden. Sie befürworten das Vorhaben in einem solchen Masse, dass sie sich auch persönlich einbringen und damit im Vorhaben als Person sichtbar machen. Dabei ist ihre Beteiligung auf kleine Einheiten begrenzt und sie investieren keinen bedeutenden Teil ihrer Zeit dafür. Einfache, schnelle Handlungen mit klar überschaubarem Ressourceneinsatz und kurzzeitiger Verpflichtung sind für Befürworter:innen wichtig. Dabei kommen Beteiligungen oft auch spontan zu Stande.
Stufe: Partielle Selbstorganisation / Mitentscheidung
Beschreibung
Partielle Selbstorganisation: Die jungen Menschen können über Teilbereiche eines Vorhabens selbst entscheiden. Dieser Teilbereich zeichnet sich durch eine Relevanz gegenüber dem Ganzen aus. Sie sind jedoch immer im übergeordneten Ganzen eingebunden und daher durch Entscheidungen der strukturell Verantwortlichen beeinflusst. Diese geben auch den Entscheidungsrahmen der partiellen Selbstorganisation vor.
Mitentscheidung: Bei der Mitentscheidung werden Entscheidungen gemeinsam gefällt. Beteiligte an Entscheidungen sind die strukturell Verantwortlichen, involvierte junge Menschen und ggf. weitere Partner:innen. Die Mitentscheidung muss nicht zwingend alle Bereiche des Vorhabens beinhalten. Es kann auch auf Teilbereiche beschränkt sein. Im Gegensatz zur partiellen Selbstorganisation haben junge Menschen auch in Teilbereichen ausschliesslich Mitentscheidungsrecht.
Mögliche Verfahrensziele
Delegation von Teilaufgaben in Vorhaben oder Aufteilung eines Projekts in Teilprojekte mit zugeordneter Verantwortlichkeit. Stärkung der Autonomie von jungen Menschen in der Beteiligung.
Entscheidungskompetenz
Für das Ganze besteht eine geteilte Entscheidungskompetenz, entweder aufgeteilt in Teilbereiche oder durch gemeinsame Entscheidungskompetenz.
Partielle Selbstorganisation: Den jungen Menschen wird für Teilbereiche die Entscheidungskompetenz abgegeben.
Mitentscheidung: Die Entscheidungskompetenz wird geteilt, Entscheide werden gemeinsam gefällt.
Beispiel aus der Jugendarbeit zur Partizipationsstufe
Partielle Selbstorganisation: Die Planung der Karwoche und Ostern sieht vor, dass eine Gruppe junger Menschen die Nacht vom Hohen Donnerstag und den Karfreitag plant und durchführt. Dabei entscheiden die jungen Menschen über die Ausgestaltung und die Formate der Durchführung.
Mitentscheidung: Nach der Firmung findet eine Firmreise statt. Die jungen Menschen entscheiden mit den Firmverantwortlichen und dem Seelsorgeteam über das Reiseziel, sowie über drei Ausflugsziele auf der Firmreise.
Beteiligungspyramide Beteiligte:r
Die beteiligten jungen Menschen weisen ein vertieftes Engagement auf. Sie leisten einen erheblichen Beitrag zum Gelingen der Vorhaben bzw. der Gruppe. Dabei investieren sie ihre Zeit und bringen ihre Kompetenzen ein. Sie unterstützen und helfen mit, sind jedoch nicht bereit, über die Ausführung ihrer Aufgabe hinaus Verantwortung zu übernehmen. Daraus resultieren mehrstufige Einsätze - von einfacher Unterstützung in der Durchführung bis zur Übernahme klar abgegrenzter Aufgaben. Diese Engagements sind überlegt und daher auch für die Planung relevant, da dadurch Verbindlichkeit und Planungssicherheit entsteht. Die beteiligten jungen Menschen werden dabei eng begleitet und unterstützt. Für Teilhaber:innen und Leader:innen sind Beteiligte zentral für die Umsetzung der geplanten Vorhaben bzw. die Aktivität der Gruppe. Daher werden sie regelmässig um Feedback gebeten oder von ihnen Impulse/Inputs für Planungen eingeholt.
Stufe: Unterstützte Selbstorganisation
Beschreibung
Die jungen Menschen agieren inhaltlich selbstorganisiert. Sie werden dabei von einer Fachperson unterstützt. Diese strukturelle Einbindung führt den jungen Menschen inhaltliche und strukturelle Ressourcen zu und begleitet sie in Entscheidungsfindungen und der Organisation.
Mögliche Verfahrensziele
Fachliche und/oder organisationelle Unterstützung auf dem Weg in die vollständige Selbstorganisation. Ressourcen erschliessen.
Entscheidungskompetenz
Die Entscheidungskompetenz liegt bei den jungen Menschen. Fachpersonen stehen ihnen beratend zur Seite.
Beispiel aus der Jugendarbeit zur Partizipationsstufe
Eine Gruppe junger Menschen hat sich für eine Solidaritätsaktion für Armutsbetroffene Menschen in der Schweiz entschieden. Eine Fachperson begleitet die Organisation der Solidaritätsaktion, übernimmt in Absprache mit den jungen Menschen einige Aufgaben (z. B. Bewilligung und Administration) und stellt Ressourcen zur Verfügung, über die die Kirche verfügt. Die jungen Menschen entscheiden über die Gestaltung der Solidaritätsaktion sowie über die Verwendung der gesammelten Spenden.
Beteiligungspyramide Teilhaber:in
Teilhaber:innen werden in ihrer Entwicklung des Verantwortungsgefühls gefördert und für die Aufgaben, die sie übernehmen, befähigt. Sie weisen eine hohe Motivation für das Vorhaben bzw. die Gruppe aus und investieren viel in das Gelingen. Dazu sind sie bereit, sich erforderliche Fähigkeiten anzueignen und Verantwortung für die ihnen zugewiesenen Aufgaben zu übernehmen. Sie investieren regelmässig ihre Zeit und bringen ihre Ressourcen und Kompetenzen ein. Ihre Identifikation mit dem Vorhaben bzw. der Gruppe ist hoch. Sie vertreten das Vorhaben bzw. die Gruppe gegen aussen.
Stufe: Vollständige Selbstorganisation
Beschreibung
Die jungen Menschen agieren selbstorganisiert und ohne Einbindung in eine übergeordnete Struktur oder Unterstützung durch Fachleute, die sie in ihren Entscheidungen beeinflussen.
Mögliche Verfahrensziele
Die Verfahrensziele werden von den jungen Menschen selbst bestimmt.
Entscheidungskompetenz
Die Entscheidungskompetenz liegt bei den jungen Menschen.
Beispiel aus der Jugendarbeit zur Partizipationsstufe
Nach einem Projekt organisieren sich junge Menschen in einer Gruppe, die den Zweck verfolgt, eine abgelegene Kapelle zu unterhalten und inhaltlich zu bespielen. Die Kirchgemeinde stellt dafür die erforderlichen Mittel zur Verfügung und arbeitet mit den jungen Menschen eine Vereinbarung aus.
Beteiligungspyramide Leader:in
Leader:innen werden in ihrer Entwicklung von Führungsfähigkeiten und -möglichkeiten gefördert und zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine hohe Verantwortung gegenüber dem Vorhaben bzw. der Gruppe einnehmen. Sie haben den Lead in der Gruppe und organisieren mit weiteren Teilhaber:innen zusammen, wobei sie sich weniger auf die Organisation von Einzelheiten konzentrieren, sondern für die ganzheitliche Ausrichtung des Engagements der Gruppe. Ihre Identifikation zum Vorhaben bzw. zur Gruppe ist sehr hoch. Sie bieten sich als primäre Ansprechperson an.