Hosting und Harvesting
Prozessbegleitung (Hosting) und Ernte bzw. Weiterverarbeitung der Ergebnisse (Harvesting) müssen ineinandergreifen, damit aus Beteiligung und der Weisheit der Vielen tragfähige Entscheidungen und menschen- sowie situationsgerechte Lösungen folgen. Wir gehen so weit zu sagen, dass es erstens keine Prozesse ohne Bedarf und zweitens keine Prozesse ohne Ernte geben kann bzw. soll.
Die Aufgabe des Hostings ist es, Menschen einzuladen, zu einer gemeinsamen Frage bzw. dem gemeinsamen Anliegen („need / purpose“) all das auszusprechen, was ihnen wichtig ist, und einander offen zuzuhören. Hosting bringt die Menschen mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen miteinander in Austausch und ermöglicht Von- und Miteinander-Lernen.
Der Fokus des Harvestings liegt nun darauf, die Essenz all dessen in seinen Kernpunkten zu erfassen, Muster zu erkennen und gemeinsame Lernerfahrungen sowie den Sinngehalt festzuhalten. Die Ernte will dies alles im Gesamtzusammenhang für andere sichtbar und zugänglich machen. Schauen wir auf den ganzen Beteiligungsprozess, so wird deutlich, dass genau wie im Hosting-Prozess auch die Ernte von mehreren Akteuren getragen werden muss. Im besten Fall sind daran beteiligt:
jede/r einzelne TeilnehmerIn (durch persönliche Aufzeichnungen, Journaling, Mitschreiben)
die Gruppe als Ganze (in der Erfahrung des „Feldes“: Verbindungen, Kontakte, Austausch…)
die Caller (Auftraggeber in ihrem Commitment für den Bedarf, den Zweck des Treffens) und
ein Harvesting-Team (gemeinsam mit TeilnehmerInnen, der Gruppe und den Callern für die gemeinsamen „Artefakte“).
Man könnte auch sagen, dass es beim Hosting darum geht, Menschen zu einem Entdeckungs- und Lernprozess einzuladen und zu animieren. Beim Ernten geht es um Sinnstiftung und darum, die neuen Erkenntnisse und das Gelernte in den ursprünglichen Kontext einzubetten, um diese so relevant und brauchbar wie möglich zu machen.
Hosting und Harvesting verbinden sich bereits am Beginn der Planung zu einer gemeinsamen Perspektive auf den Bedarf (die Absicht; das Ziel) indem sie gemeinsam fragen:
Was soll bei diesem Prozess / bei diesem Treffen herauskommen?
Was brauchen wir, um gut mit der Herausforderung (Bedarf / Absicht / Frage) umzugehen?
Aus diesen Fragen ergeben sich sowohl das Hosting als auch das Harvesting. Die Wahl der Methoden im Hosting beeinflusst maßgeblich, was überhaupt geerntet werden kann.
Durch das „Herauskitzeln“ einzelner Anliegen und Fragen in der Gruppe und das Herausgreifen einzelner Stränge, ist das Hosten an sich eher divergent (auseinanderlaufend, sich öffnend), während das Ernten durch das Zusammenfassen dieser verschiedenen Stränge mehr konvergent (zusammenführend, fokussierend) ist. Dies geschieht jedoch nicht „von selbst“, sondern ist Folge einer Planung, die von Beginn an das Ergebnis im Blick hat.
Ergebnisorientiertes Planen des Harvestings
Am Anfang steht der Bedarf (need). Auf diesen hin designen und planen die Gastgeber (Hosts) einen Prozess. Damit ist auch die Gefahr gegeben, ein Ziel, ein mögliches Ergebnis schon sehr schnell im Kopf zu haben und dieses zu verfolgen. Otto Scharmer nennt das in der U-Theory „downloading“: sich eine vorgefertigte Lösung irgendwo abschauen und diese dann kopieren; sehr rasch und konsequent ein persönlich vorgefertigtes Resultat fixieren und umsetzen. Wenn wir von „Ergebnisorientiertem Planen“ sprechen, meint Art of Hosting etwas ganz anderes. Ein Art of Hosting-Prozess ist darauf ausgerichtet, eine ganz spezifische Lösung für genau das eine Problem, den ganz besonderen Bedarf zu finden. Und damit ist die Lösung jedenfalls individuell und meist auch neu und spezifisch entwickelt.
Wir versuchen also, eine (neue) Lösung von Beginn an „ergebnisorientiert“ zu planen: Und gleichzeitig können wir das gar nicht, weil wir sie nicht kennen und meist nicht mal ihren Rahmen erahnen.
Wie geht Art of Hosting & Harvesting damit um?Das Art of Hosting-Kunstwort „chaordischer Pfad“ (chaordic path) versucht das zu umschreiben. Wir versuchen, einen für die Situation passenden Weg zwischen Chaos und Ordnung zu gehen. Das heißt, so viel Chaos zu- oder entstehen zu lassen, dass Kreativität und Emergenz (4) möglich werden und gleichzeitig so viel Ordnung zu bewahren, dass Klarheit über Rahmen, Bedarf und Zielrichtung besteht.
Damit kann Unvorhergesehenes passieren und können die Menschen die für sie und den Bedarf wirklich passenden Lösungen entwickeln.
Art of Hosting & Harvesting versucht, die Ernte im Prozess gleich mitzudenken. Und das soll nicht heißen, dass das Ergebnis schon mehr oder weniger vorherbestimmt ist, und uns nicht dazu verleiten, dass wir uns im Arbeits- oder im Ernteprozess auf eine Lösung einschränken. Der schöne Ausdruck „be overprepared and understructured“ (Sei lieber zu viel vorbereitet und dann nimm lieber etwas von der Struktur weg) gilt auch für den Ernteprozess.
Ernte von Beginn an mitzudenken, bedeutet in der Praxis beispielsweise:
eine Methode ein klein wenig abzuwandeln (Beispiel: im World-Café nach jeder Runde eine kleine spezifische Teilernte einholen), um bspw. Details oder spezifische Entwicklungsschritte für alle sichtbar zu machen
den Bedarf und den Zweck des Meetings wirklich und immer im Fokus zu behalten
die Fragen noch kräftiger zu formulieren (bspw. Gleichzeitig inspirierend-offen und ganz konkret auf den Bedarf, die Ausgangsfrage bezogen; Bsp.: Was wäre, wenn … (Bedarfsbeschreibung) und wir … (Qualitäten benennen der Wirkung der Lösung oder des Prozesses etc.))
ein inneres Bild zu haben, wie das Ergebnis aufbereitet werden könnte und dieses dann abzuwandeln, wenn sich zusätzliche Entwicklungsrichtungen ergeben haben oder das inhaltliche Ergebnis etwas ganz Neues hervorgebracht hat etc.
und last but not least in der Arbeitsphase eine neue, unvorhergesehene Entwicklung aufzunehmen und Ablauf, Design, Frage oder Gesprächssetting ein klein wenig abzuändern.
Wer soll die Ernte machen?
Wer die Ernte macht, wird auch die Früchte daraus genießen! :)
Die „klassische“ Erntearbeit im Sinn von Dokumentation – das Mitschreiben, Fotografieren, Karten einsammeln etc. – kann jede:r der Beteiligten übernehmen, oder es wird delegiert. Jedoch aus einer großen Menge an Informationen und Inhalten die „emerging patterns“ zu erkennen – die auftauchenden Muster, eine sinngebende Zusammenfassung von Wissen, neuen Ideen und Erkenntnissen (Wissensmanagement), den dahinterliegenden größeren Sinn zu erfassen - dazu braucht es ein Ernte-Team. Es ist wichtig, dass sich im Ernte-Team die Diversität der Beteiligten spiegelt. Das bedeutet, dass idealerweise jemand aus dem Hosting- Team, die Auftraggeber, die Stakeholder und auch sogar jemand Außenstehendes am Ernteprozess beteiligt wird. Das ermöglicht es, aus verschiedenen Perspektiven auf die gewonnenen Informationen zu blicken und die Samen darin oder auch weiterführende Fragen zu entdecken, welche dann den Mehrwert der Ernte ausmachen.
(4) „Emergenz (lateinisch emergere „Auftauchen“, „Herauskommen“, „Emporsteigen“) bezeichnet die Möglichkeit der Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente.“ Wobei die neuen Eigenschaften nicht schon in den bisherigen Elementen des Systems vorhanden sind. Wikipedia 2018 (https://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz).