Die vier Dimensionen der „Art of Hosting-Praxis“ (ii)

Es gibt vier Dimensionen bzw. Qualitäten, die „das Herzstück“ des Art-of-Hosting bilden. Sie beschreiben die verschiedenen grundlegenden Haltungen und Praktiken des Gastgebens und sind wegweisend für die Art und Weise, wie partizipative Prozesse und partizipative Führung gelingen können.

1. Sei dir selbst ein guter Gastgeber/ eine gute Gastgeberin („Host Self“)

2. Teilnehmer:in sein & achtsame Gespräche üben („Participate“)

3. Gastgeber:in sein – Gespräche anstoßen und begleiten („Host Others“)

4. Co-Kreation in einer Gemeinschaft von Lernenden („Co-Create“)

Diese vier Dimensionen sind nicht linear miteinander verbunden, es folgt nicht ein Schritt auf den anderen. Sondern sie sind miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Man kann sie sich vorstellen wie die verschiedenfarbigen Kristalle eines Kaleidoskops: die Kristalle bilden immer wieder andere Muster, je nachdem welche Einstellung man wählt. Und doch sind immer alle Kristalle vorhanden und gleichrangig in ihrem Beitrag für das Muster.

So sind auch alle vier Dimensionen der Art-of-Hosting-Praxis Teil eines jeden Prozesses oder Gesprächsprozess und aus jeder Position heraus immer wieder von Neuem entscheiden, welche der Dimensionen/ Qualitäten im Moment für mich Vorrang hat und welche ich durch meine Präsenz und meine Beiträge unterstützen will. Die vier Dimensionen sind somit auch ein Plädoyer für radikale Selbstverantwortung.

Wirklich bereit sein, geschickt Gespräche anstoßen, ein guter Gastgeber oder eine gute Gastgeberin für respektvolle Dialoge zu sein, als Teilnehmer:in oder Co-Creator:in vertrauensvoll mitzuwirken: Um diese Fähigkeiten und Praktiken zu entwickeln, sie zu vertiefen und zu verfeinern, braucht es stetige Praxis und mutiges Üben. Deshalb lautet die ursprünglich englischsprachige Bezeichnung auch „Fourfold-Practice“, die vierfache Praxis.

„Praxis heißt aktiv und regelmäßig etwas zu tun, um eine Fähigkeit zu erhalten und zu fördern.“

1. Sei dir selbst ein guter Gastgeber/ eine gute Gastgeberin

… sei dir zuerst selbst Gastgeber/Gastgeberin – sorge für dich und arbeite an dir – sei bereit, Unsicherheit und Chaos auszuhalten – lass dir genügend Freiraum und Möglichkeitsräume offen – lass dich aufs Hier und Jetzt ein …

Als gute Gastgeberin/ guter Gastgeber kümmere ich mich um mein Wohl und übe mich im Präsentsein. Dazu gehört es, auf meine Bedürfnisse (körperlich, emotional, spirituell) zu hören und zu achten, meine Grenzen kennen zu lernen und anzuerkennen.

Präsent sein heißt: ankommen im „Hier & Jetzt“, bereit und vorbereitet sein, meine Gedanken gesammelt zu haben, in Balance sein. In der Präsenz versteht man besser, was man persönlich zu einem Gespräch beitragen kann, was der Beweggrund für die eigene Teilnahme ist. Offenheit und Vertrauen ermöglichen einem nochmals in sich hineinzuhören und eine gewisse Neugierde für das zu entwickeln, was passieren wird. In der Präsenz widme ich mich für eine bestimmte Zeit ohne Ablenkung ganz der Arbeit mit den Teilnehmenden des Treffens.

Präsent sein heißt auch, mich meiner Umwelt bewusst zu sein und die Einflüsse (Personen, Stimmungen) im Raum wahrzunehmen, aufzugreifen und sich darauf einzulassen. Welche Wirkung haben die anderen auf mich, wie wirke ich auf die anderen, was geschieht gerade, was braucht es?

Präsenz wirkt und verändert.

Folgende Anregungen können mich auf verschiedenen Ebenen unterstützen, mir selbst eine gute Gastgeberin/ ein guter Gastgeber zu sein:

-> physisch -> auf den Körper hören (Natur, Bewegung, Tanz, Mediation, Yoga, …)

-> emotional -> verstehen, was mich aus der Balance bringt, was mich triggert, welche Emotionen mich bestimmen ( -> langfristige Auseinandersetzung und Veränderung)

-> spirituell -> mich einlassen, Kontrolle aufgeben, vertrauen, mich verbinden mit dem „Unsichtbaren“, …

In einem gemeinsamen Prozess macht es also Sinn, sich genügend Zeit fürs Ankommen zu nehmen, sodass sich alle Beteiligten bereit und wohl fühlen. Ein von Herzen kommendes Willkommenheißen, ein gutes Framing (Rahmenbedingungen klären) und ein anschließender Check-In, bei dem jede und jeder die Möglichkeit hat, vorab etwas zu sagen (Erwartungen, persönliche Eindrücke, Hoffnungen etc.) oder ein kurzes stilles Innehalten (wenn es passt), kann die Teilnehmer:innen unterstützen, in die Präsenz zu kommen.

2. Teilnehmer:in sein & achtsame Gespräche üben

... sei bereit wirklich zuzuhören, sei respektvoll, urteile nicht und glaube nicht, bereits die Antwort auf die Fragen zu kennen – übe dich im Gespräch in Achtsamkeit …

-> sich authentisch und mit Erfahrung einbringen

-> mit dem Herzen zuhören

-> Beiträge wertschätzen - kollektive Weisheit vom Feld wahrnehmen und bestärken

-> das Gastgeber-Feld unterstützen („hosting from the chair“)

-> zwischen Teilnehmer:in-Rolle und Gastgeber:in-Rolle hin- und herwechseln

An Gesprächen teilzunehmen, die aus der gastgebenden Haltung herausgeführt werden, ist ebenso eine Kunst, wie diese Gespräche als Host zu begleiten. Es verlangt von uns, dass wir behutsam miteinander umgehen und das einbringen, was wir können. Gleichzeitig schauen wir darauf, dass es im Dienst des gemeinsamen Ganzen steht.

Vorurteilsfreies Zuhören ermöglicht Aufmerksamkeit, Offenheit und Neugier für neue Erkenntnisse, Verbindungen untereinander und gemeinsame Lösungen. Durch zugewandtes Zuhören schaffen wir Raum dafür, dass Menschen sich öffnen, Themen vertieft werden können, bisher Ungesagtes und Unaussprechliches in die Welt kommen kann. Interessiertes Zuhören und wertschätzendes Nachfragen bestärken die Teilnehmer:innen, fördern das gegenseitige Vertrauen und ermöglichen so Veränderung.

Bewusst geführte Gespräche entschleunigen und unterstützen Klarheit und Weisheit. Wenn wir einfach drauflosreden, können wir einander weder verstehen, noch erlaubt es uns einen Gesprächsraum für Klarheit zu schaffen.

Für die Gastgeber:innen, die durch ein Treffen oder einen Prozess führen, ist das unsichtbare „Hosting from the chair“, das die Art-of-Hosting-Teilnehmer:innen praktizieren, Entlastung und Unterstützung.

3. Gastgeber:in sein - Gespräche anstoßen und begleiten

… beherzt und mutig sein, Gespräche anzustoßen und zu begleiten, die wirklich wichtig sind – finde und behandle elementare Fragen mit deinen Partnern und Partnerinnen – achte darauf, die Erkenntnisse, Lernerfahrungen und sinnvollen Handlungen zu sammeln und weiter zu verknüpfen …

-> Räume schaffen für die kollektive Weisheit und gemeinsames Lernen

-> einander einladen, um die Praxis zu üben

-> die Stärken der Einzelnen wahrnehmen, ihnen Raum geben und sich damit verbinden

-> einander gegenseitig ermutigen, gemeinsam solche Räume zu schaffen

-> die Ergebnisse, das zu Lernende ernten

Gespräche zu führen und zu begleiten ist beides: mal mehr und weniger als reine Moderation. Ein Host übernimmt Verantwortung für den Gesprächsrahmen und -raum (Gesprächsatmosphäre, Rahmenbedingungen), sodass die teilnehmenden Menschen die bestmöglichen Bedingungen für die gemeinsame Arbeit vorfinden.

Die beste Vorbereitung ist ohnehin, anzukommen und wirklich präsent zu sein. Das Mindeste, was zu tun ist, ist die jedem Treffen zugrundeliegende Herausforderung wahrzunehmen, den Zweck des Treffens zu klären („purpose“) und passende starke Fragen vorzubereiten, um die Gespräche anzustoßen.

Schlussendlich wollen die Ergebnisse („Früchte“) des Treffens oder des Prozesses geerntet werden. Dafür ist vorab zu klären, welche Ergebnisse in welcher Form vorliegen müssen, um die nächsten Schritte im Prozess - z.B. in Richtung Implementierung - gehen zu können.

Gespräche zu begleiten (zu hosten) braucht neben Moderationskompetenzen auch Mut zum Ausprobieren und Vertrauen in die Beteiligten. Um der Energie im Prozess folgen zu können, muss ein Host präsent sein und aufmerksam wahrnehmen, was es im Sinne der Gruppe und des Prozesses gerade braucht. Dies kann auch erfordern, die eigenen Vorstellungen und Pläne zu ändern, um dem Anliegen bestmöglich dienen zu können.

4. Co-Kreation in einer Gemeinschaft von Lernenden

… sei gewillt mitzuwirken und zusammen zu hosten, vereine dein Wissen, deine Erfahrung und deine Praxis mit der der Anderen und gehe eine Arbeitspartnerschaft ein …

-> arbeite an deinen eigenen Themen

-> schaffe Raum für das, was in der Gemeinschaft ansteht und lade zu Gesprächen ein

-> wechsle flexibel zwischen den Rollen Host und Teilnehmer:in

-> investiere Energie in die Gemeinschaft, damit Synergien entstehen

-> ermutigen wir uns gegenseitig, ständig zu üben

Die vierte Dimension beschreibt, wie in einer co-kreativen Zusammenarbeit individuelle und kollektive Weiterentwicklung möglich wird, Beziehungen vertieft werden und neue Erkenntnisse entstehen können. Durch die Zusammenschau, den neugierigen Austausch untereinander und die gemeinsame Reflexion aller Beteiligten können ganz neue Einsichten und Perspektiven erwachsen (Emergenz).

Die besten Gespräche entstehen, wenn wir hören, was „in der Mitte“ ist, was aus unserer Zusammenarbeit entsteht. Es geht dann nicht darum, individuelle Ansichten bzw. Agenden auszubalancieren, sondern darum neue Wege zu entdecken. Das erfordert Mut und Bescheidenheit gleichermaßen.

In einem echten Prozess der kreativen Zusammenarbeit (co-creative process) wird es unwichtig, wer was wann gesagt hat. Wenn wir gemeinsam auf unserem Wissen aufbauen, ergeben sich Synergien und Inspiration: das Gesamte wird größer als die Summe seiner Teile.

So werden Ergebnisse mit der Zeit nachhaltig – sie sind eingebettet in ein Netzwerk von Beziehungen, die die Kunst beherrschen, gute Gespräche zu führen und zusammen zu arbeiten.

Dieses kollaborative Feld kann unerwartete und überraschende Resultate produzieren. Vom einzelnen Lernenden zu einer Gemeinschaft, die lernt.

Vom einzelnen Lernenden zu einer Gemeinschaft, die lernt

Die vier Dimensionen beschreiben auch einen Weg des Lernens: Wenn wir als Einzelpersonen lernen, wirklich präsent zu sein und an wesentlichen Gesprächen konstruktiv und verantwortungsvoll teilzunehmen, eröffnen sich für uns als Lernende viele neue Möglichkeiten.

Wenn wir selbst Räume für Gespräche schaffen und uns mit anderen zusammenzutun, werden wir zu einer Gemeinschaft von Lernenden. Als Gemeinschaft haben wir vielfältigere und breitere Kompetenzen als jeder/ jede für sich allein.

In einer Gemeinschaft, die lernt, stehen nicht die individuellen Zugänge und Bedürfnisse, sondern das gemeinsame Anliegen im Mittelpunkt des Lernens. Das ist der Punkt, an dem wir wirklich in die kollektive Intelligenz eintreten. Wir multiplizieren unsere Kompetenzen und das ermöglicht Emergenz (iii).