Der Chaordische Pfad (v)
Chaos – Ordnung – Kontrolle sind unterschiedliche Seins- und Erfahrungszustände. Wir tendieren eher dazu, uns in geordneten Strukturen sicher zu fühlen, wobei für manche Menschen wiederum Kontrolle maßgeblich für ihr Sicherheitsgefühl ist. Außer Kontrolle zu sein wird dann als beängstigend wahrgenommen, wenn wir nach Vorhersehbarkeit streben.
Sehen wir Organisationen als mechanistisch-strukturiert an, tendieren wir dazu, innerhalb des Bereichs zwischen Ordnung und Kontrolle zu verharren. Dort sind die Dinge stabil und vorhersehbar und dort wird auch der Status quo bzw. „mehr vom Gleichen“ reproduziert – was in manchen Fällen auch genau das ist, was gebraucht wird.
Die Welt und Zeit, in der wir leben, ist aber weder vorhersehbar noch stabil – das ruft mehr Flexibilität auf den Plan und fordert Lösungsstrategien, die den Herausforderungen gerecht werden und eben nicht „mehr vom Gleichen“ produzieren. Wenn wir nach innovativen, neuen Lösungen suchen, finden wir diese zwischen Ordnung und Chaos – dem chaordischen Pfad.
Der chaordische Pfad ist die Funktionsweise unserer natürlichen Umwelt – alles emergiert aus nicht-linearen, komplexen und vielfältigen Systemen. Das menschliche Gehirn ist dabei eines der komplexesten, nicht-linearen Systeme überhaupt und bildet aus nur wenigen unterschiedlichen Typen von Nervenzellen Netzwerke, deren Kombinationsmöglichkeit die Anzahl der Atome im Weltall übersteigt. Zwischen Chaos und Ordnung verläuft der Weg, wo die Dinge nicht zu starr und straff sind, sondern flexibel und dynamisch für neue Verbindungen und Lösungen. Aus dem Chaos können neue Formen der Ordnung entstehen.
Sowohl in der Natur als auch in Organisationen führt der Pfad zwischen Chaos und Ordnung zu Neuem – zu kollektivem Lernen und Innovation. Anstatt in der Organisation alles bis aufs letzte Detail zu kontrollieren oder z.B. im Gemeinwesen alles „top down“ zu entscheiden, gibt es Wege, die heute auch von vielen Führungskräften begangen werden, nämlich jene der kollektiven Intelligenz und der kollektiven Weisheit. Das Zusammenführen einzelner Meinungen gestaltet sich oft als ein chaotischer Prozess, bis zu dem Punkt, an dem wir neue Einsichten und Klarheit geschaffen haben.
Um mit unserer Organisation den chaordischen Pfad zu beschreiten, brauchen wir Zuversicht und Vertrauen und vor allem den Mut diesen Weg zwischen Chaos und Ordnung zu begehen. Mit entsprechender Geduld können letztendlich die Früchte in Form von gemeinsamen Lösungen und durchdachtem, klugem Handeln geerntet werden.
Sobald wir den Pfad zwischen Chaos und Ordnung begehen, ob individuell oder gemeinsam, werden wir auf diesem Weg auch eine Phase von Ungewissheit, Verwirrung und Konflikten durchlaufen. Genau in dieser Phase ist auch die Versuchung am größten, zu schnell in Richtung Gewissheit und Kontrolle zu arbeiten. Wenn wir jedoch auf dieses Feld der Emergenz vertrauen, können wir damit etwas völlig Neues erreichen, das mehr ist als das von uns individuell Eingebrachte.
Die Kunst dabei besteht darin, die Balance zwischen Chaos und Ordnung zu finden. Auf der äußersten Seite vom Chaos ist „Chamos“, auch destruktives Chaos genannt – hier ist alles desintegriert und geht im Chaos unter. Auf der äußersten Seite der Ordnung ist die unterdrückende Kontrolle – dort ist keine Dynamik vorhanden, was nichts Neues aufkommen lässt. Orientieren wir uns auf eine dieser extremen Seiten, ist das Resultat Apathie oder Rebellion – das genaue Gegenteil von dem, was auf dem chaordischen Pfad möglich ist.